Innenwelt der Außenwelt
Holger Birkholz, 2018 (DEU)
Es ist, als würde man zwischen Zeichnungen umhergehen. Links und rechts werden Linien gezogen. Sie entwickeln sich frei in den Raum, wie sonst nur der Zeichenstift sie beschreiben kann. Eine Welt der Andeutungen nimmt direkt physisch Raum in Anspruch: Weil sie sich in ihren Arbeiten weitgehend auf schwarz beschränkt, erscheinen sie abstrakt. Weil sie in ihrer Materialwahl – vorzugsweise Stahl und Keramik – tatsächlich auf massive Präsenz setzt, fordert sie für sich einen Grad des ‚Wirklichen‘, der zurückwirkt auf die Selbstwahrnehmung derjenigen, die in diese Welt eintreten. In ihrem zum Teil leicht tastenden und schwankenden Verlauf bewahren sich die Linien ihre Dynamik.
Wie sie gedanklich Flächen umschließen, um dadurch Objekte zu beschreiben, gleicht das dem Verfahren, Pfade anzulegen, die bei der Gestaltung dreidimensionaler virtueller Räume am Anfang der Computersimulation stehen. Es ist die einfachste Form der Bildwerdung.
Ihr Ausgangsmaterial jedoch ist Industriestahl, der gleichmäßig und gerade ist, wenn er geliefert wird. Seinen beweglichen Verlauf bekommt er erst durch den plastischen Formungsprozess. Der Blick tastet die Konturen eines Schattenrisses ab und erkennt darin den Gegenstand. Die Umrisslinie behält jedoch einen Eigenwert, der wie ein Seismograph Auskunft gibt über die Vorstellungswelt der Zeichnenden, ihre Annäherung an das, was hier sichtbar werden und was mit der Linie den Raum betreten soll. Ihre Skulpturen, die überwiegend aus Metall und Keramik bestehen, formt Lisa Seebach selbst. Zeichnungen begleiten die Arbeit, entwickeln sich zum Teil eigenständig, dienen als Medium der Reflexion. Seebachs Werke entstehen in der Regel als Gruppe und bezogen auf den jeweiligen Ort, an dem sie gezeigt werden. Dessen Wirkung, seine Dimensionen und Maßverhältnisse, vorhandene Materialien und Farben beeinflussen in übertragenem Sinne ihre Gestalt, ohne dass sie jedoch paraphrasiert oder schlicht gespiegelt werden. Vielmehr reagieren sie darauf, indem sich in ihnen bestimmte Eigenarten fortsetzen, intensiviert oder gegebenenfalls relativiert erscheinen. Die Verortung der einzelnen Skulpturen im Raum, ihre Abstände voneinander ergeben Konstellationen. Aspekte einer Arbeit finden ihre Fortsetzung oder Entgegnung in einer anderen. So entstehen Verbindungen und Verhältnisse. Je nach Standpunkt der Betrachtung werden diese Beziehungen in ihrer Vielschichtigkeit anschaulich. Die schwarzen Stahlstangen ziehen sich als einheitliches, stilistisches Element durch alle Arbeiten. Sie sind präsent wie Gegenstände, bleiben doch nur angedeutet und zeigen darin ihre Wandelbarkeit, wie auch die Möglichkeit, ganz unterschiedliche Räume zu umreißen. Sie interagieren oft mit glänzend schwarz glasierten Keramiken, auf denen Lichtreflexe schwimmen. In ihnen spiegelt sich die Architektur des Ausstellungsraumes. Aber auch flächige Materialien, wie bewegliche Stoffe, Schaumstoffe oder Papierbahnen, kommen ins Spiel. Sie bereichern das Feld der Skulpturen über die Zeichenhaftigkeit hinaus.
Beschränkt sich die Zeichnung üblicherweise auf ein handliches, kleines Format, so erreicht sie in Seebachs Skulpturen die Größe von Objekten des alltäglichen Erfahrungsraumes. Unter den Bildtiteln taucht der Begriff der „Landschaft“ auf, damit weitet sich das Geschehen auf einen größeren Aktionsradius. Seebachs Räume erweisen sich dadurch als eine Art Innenwelt der Außenwelt. Die Höhe der einzelnen zusammengestellten Skulpturen wechselt. Sie orientiert sich an den Maßen der Umgebung und bezieht sich auf den menschlichen Körper. Einige Arbeiten reichen in ihrer Größe deutlich über ihn hinaus und wirken dahingehend manifest und bestimmend. Kleinere Arbeiten erwecken, allein auf Grund ihrer Größe, den Eindruck, sie könnten zum Objekt einer Handlung, eines Nutzens werden, auch wenn die Verwendung nicht wirklich erkannt und der Gebrauch sich auf gedankliche Aktivitäten beschränken muss: Seebachs Skulpturen erscheinen in ihrer Form bekannt, ohne dass sich ein direktes Vorbild ausmachen ließe.
Es ist, als würden sie auf eine Weltwahrnehmung verweisen, die von einer eigenen inneren Logik moduliert und entfremdet wurde. Sie rühren an Erinnerungen, die sich – nicht mehr erreichbar – entfernt haben und deshalb verloren gegeben werden müssen.
Im Schwarz der Formen behauptet sich nicht nur die Abstraktion, sondern auch eine Art Trauer der Distanz. Hin und wieder wird sie von einem eigenen Leuchten durchbrochen, wenn an einer Stelle das Schwarz der Stangen in ein Silber und Gold wechselt oder die Keramiken überzogen von braunen oder rosafarbenen Glasuren eine andere Farbigkeit annehmen. Wenn der Boden sich als kalt rotes
Papier aus einer Rolle abwickelt oder weiße unglasierte Fliesen als Grund der Skulptur dienen, dann kommt hier noch eine andere Dimension ins Spiel. Sie ist nicht weniger abstrakt in ihrer Materialität, aber im Ton, den sie anschlägt, lebendiger: Die Glasuren changieren in Valeurs und Gold und Silber ziehen punktuell die Blicke auf sich.
Die Stangen sind Handlungsformen. Der Blick kann sich an ihnen festhalten, an ihnen entlang gleitend den Raum erschließen, wie die gezeichnete Linie die Spur eines zeichnerischen Aktes wiedergibt.
Gleichzeitig ziehen sie sich auf ihre Funktion zurück, Ränder zu sein, die das greifbar machen wollen, was sich in den von ihnen umspannten Feldern entzieht.
Seebachs Arbeiten haben eine offene Struktur, die darin liegt, was gegeben ist, in die eine oder andere Richtung zu komplettieren, es formal und erzählerisch weiter zu entwickeln. Ihre Assoziationen sind vorsprachlich und darin emotional. Sie lassen sich nur schwer beschreiben und das macht sie beunruhigend surreal und unerreichbar, obwohl sie körperlich ausgesprochen gegenwärtig sind. Das ist eine Erfahrung von Schönheit, die „poetisch“ genannt wird. Diese Kategorie ist abhängig von subjektiven psychischen Prädispositionen.
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Innenwelt der Außenwelt
Holger Birkholz, 2018 (DEU)
Es ist, als würde man zwischen Zeichnungen umhergehen. Links und rechts werden Linien gezogen. Sie entwickeln sich frei in den Raum, wie sonst nur der Zeichenstift sie beschreiben kann. Eine Welt der Andeutungen nimmt direkt physisch Raum in Anspruch: Weil sie sich in ihren Arbeiten weitgehend auf schwarz beschränkt, erscheinen sie abstrakt. Weil sie in ihrer Materialwahl – vorzugsweise Stahl und Keramik – tatsächlich auf massive Präsenz setzt, fordert sie für sich einen Grad des ‚Wirklichen‘, der zurückwirkt auf die Selbstwahrnehmung derjenigen, die in diese Welt eintreten. In ihrem zum Teil leicht tastenden und schwankenden Verlauf bewahren sich die Linien ihre Dynamik.
Wie sie gedanklich Flächen umschließen, um dadurch Objekte zu beschreiben, gleicht das dem Verfahren, Pfade anzulegen, die bei der Gestaltung dreidimensionaler virtueller Räume am Anfang der Computersimulation stehen. Es ist die einfachste Form der Bildwerdung.
Ihr Ausgangsmaterial jedoch ist Industriestahl, der gleichmäßig und gerade ist, wenn er geliefert wird. Seinen beweglichen Verlauf bekommt er erst durch den plastischen Formungsprozess. Der Blick tastet die Konturen eines Schattenrisses ab und erkennt darin den Gegenstand. Die Umrisslinie behält jedoch einen Eigenwert, der wie ein Seismograph Auskunft gibt über die Vorstellungswelt der Zeichnenden, ihre Annäherung an das, was hier sichtbar werden und was mit der Linie den Raum betreten soll. Ihre Skulpturen, die überwiegend aus Metall und Keramik bestehen, formt Lisa Seebach selbst. Zeichnungen begleiten die Arbeit, entwickeln sich zum Teil eigenständig, dienen als Medium der Reflexion. Seebachs Werke entstehen in der Regel als Gruppe und bezogen auf den jeweiligen Ort, an dem sie gezeigt werden. Dessen Wirkung, seine Dimensionen und Maßverhältnisse, vorhandene Materialien und Farben beeinflussen in übertragenem Sinne ihre Gestalt, ohne dass sie jedoch paraphrasiert oder schlicht gespiegelt werden. Vielmehr reagieren sie darauf, indem sich in ihnen bestimmte Eigenarten fortsetzen, intensiviert oder gegebenenfalls relativiert erscheinen. Die Verortung der einzelnen Skulpturen im Raum, ihre Abstände voneinander ergeben Konstellationen. Aspekte einer Arbeit finden ihre Fortsetzung oder Entgegnung in einer anderen. So entstehen Verbindungen und Verhältnisse. Je nach Standpunkt der Betrachtung werden diese Beziehungen in ihrer Vielschichtigkeit anschaulich. Die schwarzen Stahlstangen ziehen sich als einheitliches, stilistisches Element durch alle Arbeiten. Sie sind präsent wie Gegenstände, bleiben doch nur angedeutet und zeigen darin ihre Wandelbarkeit, wie auch die Möglichkeit, ganz unterschiedliche Räume zu umreißen. Sie interagieren oft mit glänzend schwarz glasierten Keramiken, auf denen Lichtreflexe schwimmen. In ihnen spiegelt sich die Architektur des Ausstellungsraumes. Aber auch flächige Materialien, wie bewegliche Stoffe, Schaumstoffe oder Papierbahnen, kommen ins Spiel. Sie bereichern das Feld der Skulpturen über die Zeichenhaftigkeit hinaus.
Beschränkt sich die Zeichnung üblicherweise auf ein handliches, kleines Format, so erreicht sie in Seebachs Skulpturen die Größe von Objekten des alltäglichen Erfahrungsraumes. Unter den Bildtiteln taucht der Begriff der „Landschaft“ auf, damit weitet sich das Geschehen auf einen größeren Aktionsradius. Seebachs Räume erweisen sich dadurch als eine Art Innenwelt der Außenwelt. Die Höhe der einzelnen zusammengestellten Skulpturen wechselt. Sie orientiert sich an den Maßen der Umgebung und bezieht sich auf den menschlichen Körper. Einige Arbeiten reichen in ihrer Größe deutlich über ihn hinaus und wirken dahingehend manifest und bestimmend. Kleinere Arbeiten erwecken, allein auf Grund ihrer Größe, den Eindruck, sie könnten zum Objekt einer Handlung, eines Nutzens werden, auch wenn die Verwendung nicht wirklich erkannt und der Gebrauch sich auf gedankliche Aktivitäten beschränken muss: Seebachs Skulpturen erscheinen in ihrer Form bekannt, ohne dass sich ein direktes Vorbild ausmachen ließe.
Es ist, als würden sie auf eine Weltwahrnehmung verweisen, die von einer eigenen inneren Logik moduliert und entfremdet wurde. Sie rühren an Erinnerungen, die sich – nicht mehr erreichbar – entfernt haben und deshalb verloren gegeben werden müssen.
Im Schwarz der Formen behauptet sich nicht nur die Abstraktion, sondern auch eine Art Trauer der Distanz. Hin und wieder wird sie von einem eigenen Leuchten durchbrochen, wenn an einer Stelle das Schwarz der Stangen in ein Silber und Gold wechselt oder die Keramiken überzogen von braunen oder rosafarbenen Glasuren eine andere Farbigkeit annehmen. Wenn der Boden sich als kalt rotes
Papier aus einer Rolle abwickelt oder weiße unglasierte Fliesen als Grund der Skulptur dienen, dann kommt hier noch eine andere Dimension ins Spiel. Sie ist nicht weniger abstrakt in ihrer Materialität, aber im Ton, den sie anschlägt, lebendiger: Die Glasuren changieren in Valeurs und Gold und Silber ziehen punktuell die Blicke auf sich.
Die Stangen sind Handlungsformen. Der Blick kann sich an ihnen festhalten, an ihnen entlang gleitend den Raum erschließen, wie die gezeichnete Linie die Spur eines zeichnerischen Aktes wiedergibt.
Gleichzeitig ziehen sie sich auf ihre Funktion zurück, Ränder zu sein, die das greifbar machen wollen, was sich in den von ihnen umspannten Feldern entzieht.
Seebachs Arbeiten haben eine offene Struktur, die darin liegt, was gegeben ist, in die eine oder andere Richtung zu komplettieren, es formal und erzählerisch weiter zu entwickeln. Ihre Assoziationen sind vorsprachlich und darin emotional. Sie lassen sich nur schwer beschreiben und das macht sie beunruhigend surreal und unerreichbar, obwohl sie körperlich ausgesprochen gegenwärtig sind. Das ist eine Erfahrung von Schönheit, die „poetisch“ genannt wird. Diese Kategorie ist abhängig von subjektiven psychischen Prädispositionen.
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