Mehr Dunkel ins Licht
Sandra Hampe, Machines to produce sad thoughts, 2014 (GER)
Wie ein nächtlich verlassener Spielplatz erscheint Lisa Seebachs raumgreifender Parcours installativ skulpturaler Gebilde. Dunkle, fragile Stahlkonstruktionen stehen zittrig im Raum, wie hauchzarte Zeichnungen auf einem Blatt Papier. Wie absurde Trainingsgeräte oder eine Anordnung selbstgebastelter Maschinen einer unbekannten Industrie, die von Menschen verlassen wurde. Seltsam, surreal und fremd. Angesiedelt zwischen Traum und Alptraum scheinen sie unheimlich und anziehend zugleich.
Zum Teil mit klotzigen, schwarz glänzenden Keramikgefäßen als Füße oder mit Rollen mobilisiert, simulieren sie Geschichten von Abläufen, Übergängen und instabilen Verhältnissen.
Als beständiger Versuch, die eigene Existenz in Material zu übersetzen, zeigen die Arbeiten surreale raum - und bildgewordene Zustände, wie ein unvollständiges Archiv von abstrakten Gegebenheiten, narrativen Beobachtungen, persönlichen Empfindungen und Gedanken.
Lisa Seebach entwickelt ihre skulpturalen Arbeiten aus der zeichnerischen Bewegung heraus. Hierbei kommen die mit schwarzer Tinte gefüllten Stifte chirurgischen Instrumenten gleich. Als unmittelbares Vehikel der Verbildlichung von geistigen Prozessen dienen sie dem Untersuchen, Sezieren und Übertragen von inneren Strukturen. Die feinen wackeligen Zeichnungen fixieren extrahierte Momente aus konkreten Beobachtungen und abstrakten Gedanken, die ins Surreale driften und zu reduzierten Konstruktionen geworden sind. Durch jeweils spezifische gewähltes Material werden die Zeichnungen als Skulpturen in den Raum transkribiert. Die Übersetzung aus kleinen Handzeichnungen heraus ist frei von maßstabsgetreuen Größenrelationen.
Mit traumähnlicher „Alice im Wunderland - Logik“ verschieben sich die Verhältnisse der Dimensionen, so dass den Konstruktionen etwas Kindliches, übergroß Selbstgefertigtes anhaftet.
Die abstrakten Protagonisten sind unbeholfen, hinken oder stehen wie auf Zehenspitzen, drohen gar zu kippen.
„Das Gefühl der Senkrechten ist in uns lebendig, damit wir nicht fallen, und wenn es sein muss, strecken wir zur Korrektur die Arme aus, um den Fehler wieder auszubalancieren. In besonderen Fällen verlängern wie die Waagerechte, wie der Seiltänzer mit seiner Balancierstange.“[1]
An der Konstruktion Mit Fünf (2013), die an einen fahrbaren Krankenhaustropf erinnert, sind zwei Halterungen angebracht. Zart gebogenes Metall hält eine Nierenschale aus Porzellan. Darin liegt ein zerknitterter kleiner Klumpen aus Bronze. Die Halterung darüber ziert ein weißes, flügelähnliches Ledergeflecht, verbunden mit einem daran gefestigten Zahnarztspiegel, der auf die Bronze gerichtet ist.Was (unter-) sucht er? Das weiße Licht der Neonröhre leuchtet ihm kühl und medizinisch zur Assistenz. Der Tropf paart sich mit seinem schwarzen Gegenüber, tritt in Komplizenschaft mit seinem Schatten, der eine parallele Grundstruktur aufweist. Zwei Geschwister, Hand in Hand. Der Schatten und das Licht. Schwarz und Weiß.
Lisa Seebachs düsterer Parcours ist ein Durchwandern von Kontrasten. Die plastischen Arbeiten balancieren innerhalb des Spannungsfeldes der Formen und ihrer Materialgegensätze. Stählerne, raumgreifende Linien werden mit Volumina aus Ton, (Schaum-) Stoff und Glasur in Beziehung gebracht. Schwarze Substanz gleich einer „prima materia“ zieht sich in verschiedenen Aggregatzuständen durch alle Arbeiten. Mal scheint sie zähflüssig wie geronnen, dann liquid wie Wasser in abgeperlten Tropfen, manchmal als voluminöses Gewicht oder als statisches Gerüst. Ihre transformatorischen Prozesse kristallisieren sich in den dunklen Gerätschaften. Anthrazitfarbener Ton, dunkler Stahl, schwarz glasierte, spiegelnde Tongefäße, dunkel glänzende Glasurperlen und -pfützen, schwarz gefärbtes Tintenwasser.
Ein Schattenkabinett das zeigt, „daß wir nicht in einem homogenen leeren Raum leben, sondern in einem Raum, der mit Qualitäten aufgeladen ist, der vielleicht auch von Phantasmen bevölkert ist.“[2]
In der Videoreihe Ich mit Anderen (seit 2011) ist es die Künstlerin selbst, die über den Schlaf einer älteren Frau wacht, einen ruhenden jungen Mann unter körperlicher Anstrengung behutsam in ihren Armen hält oder ihre Hände einem anderen Händepaar als unbelebtes Werkzeug für den Formungsprozess eines Klumpen Tons darbietet. Das Aufeinandertreffen von Gegensätzen sucht auch hier seinen Ausgleich. Die eigenen rhythmischen Gegebenheiten der Videoarbeiten verlängern und dehnen Zustände von Raum, Zeit und Intimität. In Endlosschleife konzentrieren sich die Arbeiten auf eine jeweils spezifisch inszenierte und auf einen Kern hin reduzierte Handlung in der Situation menschlicher Beziehungen, die in ihrer strikten Fokussierung rituellen Zeremonien gleichkommt und fast objekthafte Züge annimmt. Als „tableau vivant“ lassen uns die Videoarbeiten in einem gefühlten Zeitloch zurück, in dem Ewigkeit und Vergänglichkeit bedenklich nah zueinander rücken. Die meisten Bewegungen erscheinen hier minimal, fast wie eingefroren, während in den plastischen Arbeiten Stillstand als Bewegung weitergedacht angelegt ist. Über die Rutschfläche aus hektisch geknetetem Ton von Sad machine to produce sad thoughts (2013), die an einem klettergerüstähnlichen Objekt lehnt, kullern tränenartig tiefblaue Glasurperlen und landen zerstreut auf einer bearbeiteten Matratze. Ein inaktiver Trauerproduzent einer stillgelegten Massenfabrikation? Eine Unruhe, wie sie auch industrielles Brachland beseelt, lässt in der Schwebe, ob die Maschinerie jeden Moment wieder in Gang gesetzt wird.
Lisa Seebachs Skulpturen scheinen sich über ihre starke Präsenz hinaus auszubreiten und den Raum zu besetzen. Sie treten mit den Videoarbeiten und Zeichnungen in Kommunikation und verdichten sich merkwürdig über ihre gemeinsame schwarze Substanz. Dabei generieren sie ihre eigene Sinnhaftigkeit sowohl ästhetisch als auch inhaltlich in von ihnen selbst bestimmten Kausalitäten.
Zwischen Vertrautheit, Melancholie und Seltsamkeit eröffnet Lisa Seebach ein eigenes räumliches und zeitliches Kontinuum.
Menschenverlassene Maschinen, fragmenthafte Momente zwischenmenschlicher Beziehungen, instabile Systeme düsterer Weltvorstellungen und Heilung, in einem grellen Krankenhausweiß beäugt, zeichnen einen Weg von Schwarz nach Weiß. „Auch in der Wirklichkeit ziehe ich es vor zu fallen“.[3]
Auf der Suche nach Balance sind immer das Kippen und der Fall angelegt, aus denen heraus aufs Neue eine Form gefunden und gehalten wird. „Die Architektur des Lebensraums ist immer in der Krise“.[4] Paradoxerweise sind es Zwischenzustände und Krisen, die uns am meisten Lebendigkeit und Selbstexistenz spüren lassen, denn sie treiben uns zu Grenzgängen.
1: Paul Klee: Beiträge zur künstlerischen Formlehre. Schwabe, Basel / Stuttgart 1997, S. 23.
2: Michel Foucault: Andere Räume. In: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Leipzig 1993, S. 37.
3: André Breton: Die Manifeste des Surrealismus. Rowohlt, Rheinbeck bei Hamburg, 1968, S. 16.
4: Franz Xaver Baier: Erected Space. Zur Ästhetik des Lebensraumes. In: Kunstforum International, Bd. 143, 1998, S. 151.
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Mehr Dunkel ins Licht
Sandra Hampe, Machines to produce sad thoughts, 2014 (GER)
Wie ein nächtlich verlassener Spielplatz erscheint Lisa Seebachs raumgreifender Parcours installativ skulpturaler Gebilde. Dunkle, fragile Stahlkonstruktionen stehen zittrig im Raum, wie hauchzarte Zeichnungen auf einem Blatt Papier. Wie absurde Trainingsgeräte oder eine Anordnung selbstgebastelter Maschinen einer unbekannten Industrie, die von Menschen verlassen wurde. Seltsam, surreal und fremd. Angesiedelt zwischen Traum und Alptraum scheinen sie unheimlich und anziehend zugleich.
Zum Teil mit klotzigen, schwarz glänzenden Keramikgefäßen als Füße oder mit Rollen mobilisiert, simulieren sie Geschichten von Abläufen, Übergängen und instabilen Verhältnissen.
Als beständiger Versuch, die eigene Existenz in Material zu übersetzen, zeigen die Arbeiten surreale raum - und bildgewordene Zustände, wie ein unvollständiges Archiv von abstrakten Gegebenheiten, narrativen Beobachtungen, persönlichen Empfindungen und Gedanken.
Lisa Seebach entwickelt ihre skulpturalen Arbeiten aus der zeichnerischen Bewegung heraus. Hierbei kommen die mit schwarzer Tinte gefüllten Stifte chirurgischen Instrumenten gleich. Als unmittelbares Vehikel der Verbildlichung von geistigen Prozessen dienen sie dem Untersuchen, Sezieren und Übertragen von inneren Strukturen. Die feinen wackeligen Zeichnungen fixieren extrahierte Momente aus konkreten Beobachtungen und abstrakten Gedanken, die ins Surreale driften und zu reduzierten Konstruktionen geworden sind. Durch jeweils spezifische gewähltes Material werden die Zeichnungen als Skulpturen in den Raum transkribiert. Die Übersetzung aus kleinen Handzeichnungen heraus ist frei von maßstabsgetreuen Größenrelationen.
Mit traumähnlicher „Alice im Wunderland - Logik“ verschieben sich die Verhältnisse der Dimensionen, so dass den Konstruktionen etwas Kindliches, übergroß Selbstgefertigtes anhaftet.
Die abstrakten Protagonisten sind unbeholfen, hinken oder stehen wie auf Zehenspitzen, drohen gar zu kippen.
„Das Gefühl der Senkrechten ist in uns lebendig, damit wir nicht fallen, und wenn es sein muss, strecken wir zur Korrektur die Arme aus, um den Fehler wieder auszubalancieren. In besonderen Fällen verlängern wie die Waagerechte, wie der Seiltänzer mit seiner Balancierstange.“[1]
An der Konstruktion Mit Fünf (2013), die an einen fahrbaren Krankenhaustropf erinnert, sind zwei Halterungen angebracht. Zart gebogenes Metall hält eine Nierenschale aus Porzellan. Darin liegt ein zerknitterter kleiner Klumpen aus Bronze. Die Halterung darüber ziert ein weißes, flügelähnliches Ledergeflecht, verbunden mit einem daran gefestigten Zahnarztspiegel, der auf die Bronze gerichtet ist.Was (unter-) sucht er? Das weiße Licht der Neonröhre leuchtet ihm kühl und medizinisch zur Assistenz. Der Tropf paart sich mit seinem schwarzen Gegenüber, tritt in Komplizenschaft mit seinem Schatten, der eine parallele Grundstruktur aufweist. Zwei Geschwister, Hand in Hand. Der Schatten und das Licht. Schwarz und Weiß.
Lisa Seebachs düsterer Parcours ist ein Durchwandern von Kontrasten. Die plastischen Arbeiten balancieren innerhalb des Spannungsfeldes der Formen und ihrer Materialgegensätze. Stählerne, raumgreifende Linien werden mit Volumina aus Ton, (Schaum-) Stoff und Glasur in Beziehung gebracht. Schwarze Substanz gleich einer „prima materia“ zieht sich in verschiedenen Aggregatzuständen durch alle Arbeiten. Mal scheint sie zähflüssig wie geronnen, dann liquid wie Wasser in abgeperlten Tropfen, manchmal als voluminöses Gewicht oder als statisches Gerüst. Ihre transformatorischen Prozesse kristallisieren sich in den dunklen Gerätschaften. Anthrazitfarbener Ton, dunkler Stahl, schwarz glasierte, spiegelnde Tongefäße, dunkel glänzende Glasurperlen und -pfützen, schwarz gefärbtes Tintenwasser.
Ein Schattenkabinett das zeigt, „daß wir nicht in einem homogenen leeren Raum leben, sondern in einem Raum, der mit Qualitäten aufgeladen ist, der vielleicht auch von Phantasmen bevölkert ist.“[2]
In der Videoreihe Ich mit Anderen (seit 2011) ist es die Künstlerin selbst, die über den Schlaf einer älteren Frau wacht, einen ruhenden jungen Mann unter körperlicher Anstrengung behutsam in ihren Armen hält oder ihre Hände einem anderen Händepaar als unbelebtes Werkzeug für den Formungsprozess eines Klumpen Tons darbietet. Das Aufeinandertreffen von Gegensätzen sucht auch hier seinen Ausgleich. Die eigenen rhythmischen Gegebenheiten der Videoarbeiten verlängern und dehnen Zustände von Raum, Zeit und Intimität. In Endlosschleife konzentrieren sich die Arbeiten auf eine jeweils spezifisch inszenierte und auf einen Kern hin reduzierte Handlung in der Situation menschlicher Beziehungen, die in ihrer strikten Fokussierung rituellen Zeremonien gleichkommt und fast objekthafte Züge annimmt. Als „tableau vivant“ lassen uns die Videoarbeiten in einem gefühlten Zeitloch zurück, in dem Ewigkeit und Vergänglichkeit bedenklich nah zueinander rücken. Die meisten Bewegungen erscheinen hier minimal, fast wie eingefroren, während in den plastischen Arbeiten Stillstand als Bewegung weitergedacht angelegt ist. Über die Rutschfläche aus hektisch geknetetem Ton von Sad machine to produce sad thoughts (2013), die an einem klettergerüstähnlichen Objekt lehnt, kullern tränenartig tiefblaue Glasurperlen und landen zerstreut auf einer bearbeiteten Matratze. Ein inaktiver Trauerproduzent einer stillgelegten Massenfabrikation? Eine Unruhe, wie sie auch industrielles Brachland beseelt, lässt in der Schwebe, ob die Maschinerie jeden Moment wieder in Gang gesetzt wird.
Lisa Seebachs Skulpturen scheinen sich über ihre starke Präsenz hinaus auszubreiten und den Raum zu besetzen. Sie treten mit den Videoarbeiten und Zeichnungen in Kommunikation und verdichten sich merkwürdig über ihre gemeinsame schwarze Substanz. Dabei generieren sie ihre eigene Sinnhaftigkeit sowohl ästhetisch als auch inhaltlich in von ihnen selbst bestimmten Kausalitäten.
Zwischen Vertrautheit, Melancholie und Seltsamkeit eröffnet Lisa Seebach ein eigenes räumliches und zeitliches Kontinuum.
Menschenverlassene Maschinen, fragmenthafte Momente zwischenmenschlicher Beziehungen, instabile Systeme düsterer Weltvorstellungen und Heilung, in einem grellen Krankenhausweiß beäugt, zeichnen einen Weg von Schwarz nach Weiß. „Auch in der Wirklichkeit ziehe ich es vor zu fallen“.[3]
Auf der Suche nach Balance sind immer das Kippen und der Fall angelegt, aus denen heraus aufs Neue eine Form gefunden und gehalten wird. „Die Architektur des Lebensraums ist immer in der Krise“.[4] Paradoxerweise sind es Zwischenzustände und Krisen, die uns am meisten Lebendigkeit und Selbstexistenz spüren lassen, denn sie treiben uns zu Grenzgängen.
1: Paul Klee: Beiträge zur künstlerischen Formlehre. Schwabe, Basel / Stuttgart 1997, S. 23.
2: Michel Foucault: Andere Räume. In: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Leipzig 1993, S. 37.
3: André Breton: Die Manifeste des Surrealismus. Rowohlt, Rheinbeck bei Hamburg, 1968, S. 16.
4: Franz Xaver Baier: Erected Space. Zur Ästhetik des Lebensraumes. In: Kunstforum International, Bd. 143, 1998, S. 151.
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